Zum Inhalt springen

Der drohende Ärztemangel und der demographische Wandel können die wohnortnahe medizinische und psychosoziale Versorgung im strukturschwachen ländlichen Bereich erschweren. Weniger Ärzte würden mehr, oft schwer und multimorbid erkrankte Patienten betreuen müssen. Die Arbeitsbelastung für den einzelnen Arzt stiege enorm, was negative Folgen für die Qualität der medizinischen Betreuung und die Attraktivität des Berufes nach sich ziehen kann1,2.

Für eine gesamte Region kann dies problematisch werden, wenn sich Fachkräfte, die in den Betrieben dringend benötigt werden, aufgrund der drohenden schlechteren medizinischen Versorgung gegen einen Zuzug entscheiden3. Fatal wird dies, wenn es dabei ohnehin strukturschwache Regionen betrifft.

Mit einem Durchschnittsalter von 53 Jahren ist der Mangel an Ärzten in der Primärversorgung für viele Experten absehbar1. Landärzte suchen Nachfolger in einer Zeit, in der sich weniger als die Hälfte der Studierenden noch für die praktische Patientenversorgung als Niedergelassene entscheiden. Nur 9% können sich vorstellen, auf dem Land zu arbeiten4. Für diese Gruppe ist die Vorstellung des klassischen Arbeitsprofils eines „Landarztes“ mit ihrem individuellen Lebensplan, insbesondere auch der Familienplanung, in den meisten Fällen nicht mehr vereinbar.

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Folge auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

Verschiedene Ansätze haben versucht, die Arbeit im strukturschwachen ländlichen Gebiet für junge Mediziner attraktiv zu machen. Finanzielle Zuschüsse, Vereinfachung der Niederlassungsmöglichkeiten, Aufhebung der Residenzpflicht und lokale Unterstützung bei der Praxisübernahme haben dabei nur überschaubare Erfolge gehabt. Auch Stipendien mit der Verpflichtung, nach dem Studium langfristig auf dem Land zu arbeiten, werden nur verhalten angenommen5,6.

Das Kernproblem scheint somit nicht in der finanziellen Ausstattung und den Niederlassungsregularien zu liegen. Ein wesentliches Entscheidungsmerkmal, sich in einem strukturschwachen Gebiet langfristig beruflich zu engagieren, könnte vielmehr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die attraktive Ausgestaltung des beruflichen Umfeldes sein7,8.

In der Industrie wurden diesbezüglich bereits erfolgreich Strategien umgesetzt. So wirbt BMW Fachkräfte mit einem auf die jeweiligen Arbeitnehmer passend zugeschnittenen Angebot: Unterschiedliche Arbeitszeitmodelle in großer Zahl, Unterstützung bei der Kinderbetreuung und bei der Pflege von kranken Angehörigen9. Für ältere Arbeitnehmer werden Arbeitsplätze speziell angepasst.

Im Bereich der Hochschulforschung werden „Dual-Career-Programme“ aufgelegt, um auch dem Partner in der Region auf Dauer einen Arbeitsplatz anbieten zu können10.

Das Arbeiten in generationenübergreifenden Teams wird in der Wirtschaft erfolgreich praktiziert11. Große amerikanische Konzerne wie Googlesteigern die Zufriedenheit und Effektivität ihrer Mitarbeiter, indem sie ihnen die Möglichkeit geben, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und sie von fachfremden Arbeiten weitestgehend entlasten12.

Das Potential dieser Maßnahmen wird auch in der Ärzteschaft wahrgenommen. So haben sowohl die Bundesärztekammer als auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung individuelle Ratgeber für die familienfreundliche Gestaltung von Arbeitsplätzen erstellt13,14.

Konkrete Projekte, die in Forschung und Wirtschaft bereits erfolgreich erprobte Strategien auch im ärztlichen Bereich umsetzen, gibt es bislang demgegenüber nur selten. Dabei wären sie gerade für den strukturschwachen ländlichen Raum wegen des, alle wesentlichen Bereiche umfassenden Ansatzes, Erfolg versprechend.

Die Gemeinschaftspraxis im Bayerwald hat im Rahmen verschiedener praxisinterner Pilotprojekte bereits einzelne Komponenten erfolgreich umsetzen können. Die Arbeit im generationsübergreifenden Team wird seit einem Jahr erfolgreich mit einem berenteten Kollegen im Nachbarort umgesetzt. Die Konzentration auf die wesentlichen ärztlichen Aufgaben durch Delegation im Team wurde mit dem Bayerischen Gesundheitspreis 2012 ausgezeichnet. Die Voraussetzungen, ein innovatives, komplexes Projekt umzusetzen, mit dem junge Ärzte für die Arbeit in einer strukturschwachen Region gewonnen werden können, sind gegeben. Sollte es erfolgreich sein, wird es eine Vorbildfunktion für andere Regionen haben können.

  1. Kopetsch, Th. (2010). „Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlenentwicklung. 5. Auflage, Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung
  2. Richter-Kuhlmann, E., (2010). Ärztzahlstudie von BÄK und KVB: Die Lücken werden größer. Deutsches Ärzteblatt 107 (36): A-1670
  3. Steinhäuser, J., N. et al. (2012). „Die Scihtweise der kommunalen Ebene über den Hausärztemangel – eine Befragung von Bürgermeistern in Baden-Württemberg“. Gesundheitswesen 2012; 74(10): 612-617
  4. Der Arztberuf von morgen – Erwartungen und Perspektiven einer Generation. Umfrage unter Medizinstudierenden des Hartmannbundes (2012). http://www.hartmannbund.de/uploads/2012_Umfrage-Medizinstudierende.pdf
  5. Kassenärztliche Bundesvereinigung: „Ärztemangel“, http://www.kbv.de/37305.html
  6. Information des Bundesgesundheitsministeriums (2012). http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2011/12/2011-12-19-approbationsordnung.html
  7. Steinhäuser, J., N. Annan, et al. (2011). „Lösungsansätze gegen den Allgemeinarztmangel auf dem Land – Ergebnisse einer Online-Befragung unter Ärzten in Weiterbildung.“ Deutsche Medizinische Wochenschrift 136(34-35): 1715-1719
  8. Gibis, B., A. Heinz, et al. (2012). „Berufserwartungen von Medizinstudierenden.“ Deutsches Ärzteblatt 109(18): 327-332
  9. http://www.bmwgroup.com/com/de/karriere/arbeiten-in-der-bmw-group/leistungen/index.html
  10. http://www.uni-stuttgart.de/dual-career/
  11. http://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/iga-reporte/iga-report-21.html
  12. http://www.google.de/about/jobs/lifeatgoogle/benefits/
  13. http://praxis-und-familie.kbv.de/?page_id=10
  14. http://www.allgemeinmedizin-bw.de/fileadmin/user_upload/pdfs/Handbuch_Familie_Arbeitsplatz.pdf
Array